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Der IStGH und die USA – von unerwiderter Liebe und einer Glaubwürdigkeitskrise

Seit seiner Errichtung kämpft der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) um die Gunst der USA, die sich bis heute weigern, dem IStGH-Statut beizutreten und Untersuchungen des Gerichtshofes teilweise sogar aktiv behindern. IStGH-treue Staaten haben sich daher in der Vergangenheit oft unangemessen benachteiligt gefühlt und versucht, den IStGH ihrerseits teilweise zu boykottieren. In der Folgezeit hat die Chefanklägerin des Gerichtshofes, Fatou Bensouda, Ermittlungen gegen US-Bürger*innen eingeleitet - seitdem kriselt das Verhältnis mit den USA wiederum stärker denn je. Nun übernimmt Karim Khan das Amt Bensoudas. Kann er den IStGH aus seiner Krise retten und die Unterstützung und Achtung der USA gewinnen?


von Leana Barac


© Philippa Fink


Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist das erste ständige und unabhängige internationale Strafgericht. Es ist sachlich für schwere Verbrechen von internationaler Bedeutung, die sogenannten Kernverbrechen zuständig – namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression.

Das IStGH-Statut bildet die Grundlage für die Arbeit des IStGHs. Der Gerichtshof ist für Kernverbrechen zuständig, die entweder auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates oder durch einen Staatsangehörigen eines Vertragsstaates begangen wurden. Das Ziel ist es somit, möglichst viele Staaten zur Unterzeichnung des Statuts zu bewegen, denn je mehr Staaten das Statut unterzeichnen, desto effektiver können die schwersten Verbrechen der Menschheit bekämpft werden.


Gerade die USA standen dem IStGH von Beginn an eher feindselig gegenüber. Heute finden sich unter dem Statut die Unterschriften von 123 Staaten, nicht jedoch die der USA. Stattdessen erließen die USA im Jahre 2002 ein Gesetz, das sie ermächtigen sollte, vor dem IStGH angeklagte US-Staatsbürger*innen mit militärischer Intervention befreien zu können. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, welcher dem Gerichtshof zeigen sollte: „Nein, danke!“ und „Wehe, wenn doch!“


Warum die Anerkennung der USA dem IStGH so wichtig ist


Neben den USA gibt es auch einige andere Staaten (darunter auch China, Israel, Irak und der Jemen), die das Statut noch nicht unterzeichnet haben. Wieso drehen sich die meisten Diskussionen also um die USA? Zunächst haben wir es mit einem sehr bevölkerungsreichen Staat zu tun: Rund 330 Millionen Menschen leben dort. Viel erheblicher ist jedoch die globale militärische Präsenz der USA: Die US-Streitkräfte sind in zahlreichen Ländern stationiert und an verschiedenen bewaffneten Konflikten beteiligt. Gerade solche bewaffneten Konflikte bergen die Gefahr für die Begehung einer oder mehrerer Kernverbrechen aus dem Statut. Die USA wollen jedoch ihre Staatsbürger*innen um jeden Preis vor einem Prozess vor dem IStGH bewahren, da sonst die Bereitschaft vieler Menschen, in die US-Armee einzutreten, erheblich sinken würde. Eine kontinuierlich schrumpfende Truppenstärke möchte der Staat nicht in Kauf nehmen - nicht einmal im Interesse der Bekämpfung der schwersten Verbrechen der Menschheit.


Politische Freiheiten der Chefanklage


Die Gambierin Fatou Bensouda war von 2011 bis 2021 Chefanklägerin des IStGH. Dieser Posten gilt als das Gesicht des Gerichtshofes. Der*die Chefankläger*in leitet sämtliche Ermittlungen ein und kann somit nach eigenem Ermessen entscheiden, mit welchen Situationen und Fällen sich das Gericht letztendlich befassen wird. Drei Wege lösen das Tätigwerden des IStGH aus:


Erstens kann der UN-Sicherheitsrat durch einstimmigen Beschluss den*die Chefankläger*in um Ermittlungen in einer bestimmten Situation erbitten. Jedoch haben die USA ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat inne. Zweitens kann ein Staat den*die Chefankläger*in auch um die Ermittlung in einer bestimmten Situation erbitten. In der Praxis war der bisher häufigste Fall der der sogenannten „self-referrals“, in denen meist afrikanische Staaten die Chefanklägerin um die Ermittlung in eigener Sache ersuchten, da sie sich selbst nicht dazu in der Lage sahen. Drittens steht dem*der Chefankläger*in die Möglichkeit offen, aus eigener Ermessensentscheidung heraus – proprio motu – Ermittlungen in einer bestimmten Situation einzuleiten. Diese Art von Ermittlungseinleitung ist rechtsdogmatisch äußerst heikel, denn sie eröffnet die Macht, eigeninitiativ und unabhängig zu entscheiden, in welchen Fällen (vorerst) nicht eingegriffen und in welchen Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Im letzteren Falle hat jedoch die Vorverfahrenskammer des Gerichtshofes eine gewisse Kontrollkompetenz gegenüber dem*der Chefankläger*in inne. Ein Mechanismus, auf den die USA damals bei der Ausarbeitung des Statuts bestanden haben, das sie letztlich doch nicht unterzeichneten.


Die Glaubwürdigkeitskrise des Gerichtshofes


Der IStGH finanziert sich durch seine Mitgliedsstaaten. Er besteht nun seit nahezu zwei Jahrzehnten, seine Tätigkeit führte jedoch zu lediglich neun Verurteilungen. Kein Wunder, dass der Gerichtshof von vielen Kritiker*innen als ineffizient, langsam und deshalb schlicht und ergreifend zu teuer bezeichnet wird.

Weitere starke Kritik kam gerade aus den Reihen zahlreicher afrikanischer Staaten: Da sich der Großteil der Ermittlungen bisher auf Sachverhalte auf dem afrikanischen Kontinent erstreckte und gerade potenzielle Verbrechen von US-Bürger*innen nicht berücksichtigt wurden, wurde der IStGH öffentlich als Institut des Neokolonialismus deklariert und ihm eine zu starke Fokussierung auf Afrika vorgeworfen. 2016 kündigten Burundi, Südafrika und sogar Gambia – das Heimatland der Chefanklägerin Fatou Bensouda – ihren Austritt aus dem IStGH-Statut an. Die Furcht vor einem Exodus afrikanischer Vertragsstaaten schien begründet. Doch kurz darauf zogen die genannten Staaten bis auf Burundi (Austritt Oktober 2017) ihre Austrittserklärungen zurück und die Situation beruhigte sich. Nichtsdestotrotz besteht die harsche Kritik der Afrika-Zentriertheit bis heute und konnte vom IStGH bisher noch nicht vollumfänglich beseitigt werden.


Fatou Bensouda geht in die Offensive


Nach längerem Zögern eröffnete Fatou Bensouda schließlich im Jahr 2017 aus eigenem Ermessen (proprio motu) Vorermittlungen gegen einige US-Bürger*innen. Im Vordergrund standen mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die von US-Truppenangehörigen in Afghanistan begangen worden sein sollen. Daneben wurden auch Mitarbeiter*innen der CIA beobachtet, die ebenfalls für mutmaßliche Verbrechen in Afghanistan und einigen EU-Ländern verantwortlich gemacht wurden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist eröffnet, da Afghanistan ein Vertragsstaat des Statuts ist. Die USA reagierten prompt mit diplomatischen Sanktionen: Bensouda verlor 2019 ihr Visum für die USA und der zu dieser Zeit amtierende US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo kündigte weitere, teilweise gar wirtschaftliche, Sanktionen an, sollte die Anklagebehörde die weiteren Ermittlungsversuche nicht unterlassen. Die Trump-Regierung setzte somit erneut klare Warnsignale und bezeichnete den IStGH öffentlich als eine „kaputte und korrupte Institution“. Im Jahre 2019 lehnte die Vorverfahrenskammer den Ermittlungsantrag der Chefanklägerin ab. Eine materiell-rechtlich äußerst fragwürdige und nur mangelhaft begründete Entscheidung, die nach außen hin den Anschein erweckte, dass sich der Gerichtshof tatsächlich gegenüber der politischen Einflussnahme der USA beuge.

Bensouda ließ sich von den Warnungen der USA und der mangelnden Unterstützung der Vorverfahrenskammer nicht beirren und legte sodann Berufung gegen die Entscheidung der Vorverfahrenskammer ein. Die Berufungskammer genehmigte daraufhin im Sinne Bensoudas einstimmig die Ermittlungen gegen die verdächtigen US-Bürger*innen.


Karim Khan übernimmt das Amt Bensoudas, Biden löst Trump ab


Nachdem Fatou Bensouda nun den ersten offensiven Schritt in Richtung der USA gegangen ist, übernimmt Karim Khan ihr Amt, ein britischer Anwalt. Khan gilt als erfahrener und charismatischer Jurist, der in seiner Karriere als Ankläger vor den Ad-hoc Gerichten International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) und International Court for the former Yugoslavia (ICTY) bereits durch seine äußerst offensive Vorgehensweise herausstach.

Einige Monate zuvor gab es auch in den USA einen historischen Machtwechsel: Anfang 2021 löste der Demokrat Joseph Biden den republikanischen Präsidenten Donald Trump ab. Doch die Hoffnung auf eine IStGH-freundlichere Politik Bidens scheint unbegründet: Obwohl Biden eher auf Kommunikation statt auf Konfrontation mit dem IStGH setzt, sind auch die Demokraten dem Gerichtshof nicht freundlicher gesinnt. Vor einigen Monaten nahm Biden die von Trump verhängten Sanktionen gegen den Gerichtshof zurück, betonte jedoch ausdrücklich, seine Staatsbürger weiterhin vor einem Verfahren vor dem IStGH zu schützen.


Stellungnahme und Ausblick in die Zukunft


Der Gerichtshof befindet sich mit der Amtsübernahme Khans nun in einem bedeutenden Umbruch. Fatou Bensouda setzte bereits mit ihrer Ermittlungsentscheidung gegen die US-Bürger*innen ein wichtiges politisches Zeichen: Nachdem sich die USA der Gerichtsbarkeit des IStGH nun zwei Jahrzehnte lang entzogen, demonstrierte sie mit ihrer Hartnäckigkeit, dass der IStGH gerade keine Marionette der mächtigen Staaten ist, sondern unabhängig und fair auftritt. Gerade auch im Sinne der IStGH-Vertragsstaaten, die ihre Staatsbürger stets nach Den Haag auslieferten und sich kooperativ zeigten, scheint dies die einzig gerechte Entscheidung zu sein. Dennoch stellen die Ermittlungen gegen die US-Bürger*innen eine Mammutaufgabe dar: Der Gerichtshof ist bei seinen Ermittlungen und der Überstellung von Verdächtigen auf die Kooperationsbereitschaft der betroffenen Staaten angewiesen. Solange sich die USA unwillig zeigen, den Gerichtshof bei seiner Arbeit zu unterstützen und sogar aktiv versuchen, ihn dabei zu behindern, laufen die zeit- und kostenintensiven Ermittlungen ins Leere. Der IStGH müsste sich eine Niederlage gegen die USA eingestehen und würde öffentlich schlussendlich als zahnloser Tiger wahrgenommen werden.


Khan steht nun vor der Herausforderung, gerade dies zu verhindern. Er wird nicht nur rechtliches, sondern auch politisches und diplomatisches Geschick beweisen müssen, um den IStGH aus seiner Glaubwürdigkeits- und Effizienzkrise zu retten. Eine generelle Verlagerung der Schwerpunktsetzung von „Self-referrals“ hin zu eigenständigen proprio motu Ermittlungen könnte die Arbeitsbereitschaft des Gerichtshofes demonstrieren. Zudem scheinen vermehrt Ermittlungen in Situationen außerhalb des afrikanischen Kontinents wünschenswert, um den Vorwurf der Fokussierung auf Afrika endgültig zu überwinden. Ob Karim Khan dieser schwierigen Aufgabe gewachsen ist, wird sich in den nächsten Jahren in Den Haag zeigen.



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